Gymnasiastenhände
Bereit anzupacken. credit: Michael Gaida

Gymnasiastenhände

Mein Weg zur Eignungsdiagnostik

Wer mir begegnet und mich genau beobachtet, wird von Zeit zu Zeit ein Zittern in meiner Hand feststellen.

Ich habe einen sogenannten Alterstremor. Den habe ich seit ich 14 bin.

Das ist genetisch veranlagt und nicht weiter schlimm. Ich bin ganz gut durchs Leben gekommen. Meine leiblichen Söhne haben es und ich bin sicher, die beiden werden ihren Weg machen.

Mit 16 war ich fasziniert davon, wie am Rheinbacher Hafen bei Bonn Baumstämme von Schiffen auf LKW verladen wurden. Das war damals richtig spannend, ganze Baumstämme wurden mit Stahlseilen an den Enden angehoben und dabei kam es oft dazu, dass das Gleichgewicht der Seile nach dem Abheben anders war als vorher in Ruhe auf dem Schiff, so dass die Stämmebeim anhebenkippten und schwankten oder sich im schlimmsten Fall sogar drehten.

Das war wie Tarzan im Rheinbacher Hafen und ich wollte gern mithelfen zu verladen.

Mit meinem Freund Gregor, dem Junior der Spedition „Am Zehnhoff“ hatte ich eine Rockband gegründet, Punk-Grunge, wild und haltlos und ich jobbte im Sommer in Lager und Hafen. Gabelstapler fahren war gut, aber eigentlich wollte ich bei der richtigen Arbeit mitmachen: Stämme verladen auf den Schubleichter.

Fragen kostet nix. Der Vorarbeiter hat sich meine Hände gegriffen, rumgedreht und festgestellt: Das sind Gymnasiasten-Hände.

Das sind Gymnasiasten-Hände

Also hat er bestimmt: Du schreibst auf, was verladen wird. Für die Stämme bist du zu schmächtig und das ist gefährlich. Die Stämme hatten auf der Schnittfläche immer eine Zahl, die die Kubatur, also das Volumen des Holzes für diesen Stamm auswies. Das ist wichtig, die Zahl, die den Wert bestimmt.

Sie können sich denken, wie das mit meinem Tremor funktioniert hat. Auf einem Klemmbrett schnell, nachdem ein Stamm abgelegt war, die Zahl in eine Tabelle zu übertragen:

Das Ergebnis war eine Katastrophe, unleserlich. Der Vorarbeiter war entsetzt und ich musste zwischen den verladenen Stämmen rumkrabbeln und alles noch einmal ganz langsam, mit einem kleinen Tischchen fein säuberlich notieren.

Am nächsten Tag durfte ich mit aufladen.

Das hat übrigens trotz Gymnasiasten-Händen gut funktioniert.

Was alle Beteiligten damals gelernt haben:

Man kann aufgrund eines marginalen und unbedeutenden Merkmals – „Gymnasiasten-Hände“ und in Unkenntnis anderer entscheidungsrelevanter Merkmale einen Menschen komplett falsch einschätzen.

 

Man kann aufgrund eines Merkmals einen Menschen komplett falsch einschätzen

“Man kann aufgrund eines einzigen Merkmals einen Menschen komplett falsch einschätzen“. - Harald Ackerschott zur Personalauswahl Klick um zu Tweeten

Und damit komme ich zu den relevanten Merkmalen und der Frage, ob man sie messen muss, oder ob man einfach einen Lebenslauf nimmt und nach der Folgerichtigkeit des nächsten Schrittes sucht.

Diese Frage habe ich mir auch gestellt, als ich Berufsanfänger war: muss man Menschen testen, muss man einer „offensichtlich“ erfolgreich Person mit einem überzeugenden Lebenslauf einen Intelligenztest vorlegen, und ihr zusehen, wie Sie eine Stunde lang Aufgaben bearbeitet?

Exkurs: München 1972

Ich hatte das große Glück, damals Georg Sieber zu begegnen, dem ersten Polizeipsychologen in Deutschland. Er war berühmt geworden, weil er den Polizeipräsidenten von München bei der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele beraten hatte. Er hatte Szenarien entwickelt, gegen die die Veranstalter Vorkehrungen treffen sollten. Ein Szenario war so brutal, dass er rausgeschmissen wurde, weil seine Prognose nicht mit dem Motto der freundlichen Spiele vereinbar war. Es waren die ersten olympischen Spiele nach den Spielen 1936 in Berlin im Dritten Reich. In München wollte man die neue Bundesrepublik präsentieren, freundlich, Polizisten als Freunde und Helfer, nicht waffenstarrend – kein olympisches Dorf mit High Security und Natodraht auf den Zäunen.

Nur: genau das eine Szenario, das Georg vorhergesagt hatte – für das er gefeuert wurde – trat ein. Heute wissen alle, dass er Recht hatte. Hinterher sind immer alle klug. Manche sind es auch schon vorher, aber wenn man nicht auf sie hört, kommt es eben zur Katastrophe und Menschen sterben.

Warum schweife ich so ab? Weil das eins der prägnantesten Beispiele für eine Problematik der angewandten Psychologie ist. Oft ist das Ergebnis aufwändiger psychologischer Forschung Triviales und alle sagen, dafür brauchen wir keine Psychologen. Und wenn die psychologische Analyse dann etwas ergibt, was spontaner Intuition oder Gefühlen, persönlichen Glaubenssätze oder einfach den Wünschen eines Entscheiders widerspricht, dann werden die Erkenntnisse bekämpft oder ausgeblendet. Wie damals in München. Die Politiker wollten das einfach nicht hören, was der Psychologe sagte. Die Ablehnung und, heute würde man sagen das Blaming, nach dem Ereignis ging so weit, dass man Georg damals hinterher verdächtigte, Kontakte zu Terroristen gehabt zu haben. Wie wäre er sonst auf seine Prognose gekommen?

Georg hatte auch in dieser Zeit mit der Polizeischule Münster einen ersten Test zur Personalauswahl, zur Auswahl von „Freunden und Helfern“, konstruiert, den Vorläufer von „Jobfidence„, einem Verfahren, das heute noch bei wichtigen Stellenbesetzungen eingesetzt wird. Das erste Verfahren, mit dem ich nach dem Studium auch umzugehen lernte. Heute wird es von einem lieben Kollegen und Freund betreut, Norbert Gantner, mit mir gemeinsam ein Vater der DIN 33430. ohne unsere Zusammenarbeit  gäbe es die DIN wahrscheinlich heute nicht, aber das ist ein anderes Thema.

Wenn drei Rollen Tapete 150 DM kosten, wie viel kosten dann fünf Rollen?

Damals begleitete ich auf einem meiner ersten Termine Georg zu einer Bank in Deutschland. Es ging um die Beratung eines Vorstandes bei der Besetzung einer Stelle „Leiter Finanzen“. Georg führte mich ein uns als HiWi administrierte und beaufsichtige ich den Paper and Pencil Test, der auch Sachaufgaben enthielt. Eine lautete: Wenn drei Rollen Tapete 150 DM kosten, wie viel kosten dann fünf Rollen?

Ich saß dem Bewerber gegenüber und schaute ihm zu. Er schrieb einiges auf sein Notizblatt „150 DM“ und  „3 Rollen“ und x Rollen und Gleichheitszeichen, Fragezeichen und versuchte eine Formel zu finden und probierte hin und her und nach fünf Minuten war er immer noch am schreiben und denken und ich musste sagen: „Bitte blättern Sie um“ und er hatte keine einzige Aufgabe gelöst.

In diesem Moment wusste ich, dass ich das Richtige tue. Egal, wie der Lebenslauf aussieht, man muss genau nachforschen, ob die Bewerberin oder der Bewerber, die oder der vor einem sitzt, die Person ist, die man in sie oder ihn hinein projiziert und hinein wünscht.

Denken macht einen Unterschied

Seither habe ich in jedem Assessment in meiner Verantwortung, dass ich persönlich oder das meine Kolleginnen oder Kollegen beaufsichtigt haben, oder das über unsere online Assessment Plattform abcÎ durchgeführt wurde, auch und immer Intelligenz gemessen. Und zwar immer, egal, ob es sich um Executive Assessment, Management Appraisals, High Potential, Nachwuchs oder Lehrling im Getränkemarkt handelte.

Wir geben der Intelligenz manchmal andere Namen, damit die harte Kost der Psychologie leichter verdaulich wird, denn wir kommen unseren Partnern gern entgegen und sind gern freundlich im Umgang aber hart in der Sache. Denn die Weichen Faktoren sind sehr hart, wenn man die richtigen Werkzeuge hat, auch wenn sie oft heiße Eisen sind. Aber auch das ist eine andere Geschichte.

Damit Sie es leichter haben, sich in der Psychologie zurecht zu finden, den Nutzen zu erkennen und sich die Grundlagen der Eignungsdiagnsotik anzueignen, stellen wir diese Coaching-, Informations- und Tutorialseite zur Verfügung.

Ausserdem sind wir eine Partnerschaft mit der DIN Akademie eingegangen und haben ein blended learning curriculum entwickelt.

Bitte zögern Sie nicht, wenn Sie Fragen oder Themenwünsche haben! Nutzen Sie unser Kontaktformular und sprechen Sie mich gern direkt an.

Ihr

Harald Ackerschott

Eignungsdiagnostik aus Überzeugung und Selbsterkenntnis.

“Sind Sie jederzeit ihr wahres und bestes Selbst?“. - Harald Ackerschott zu Personalauswahl und falschen und richtigen Entscheidungen. Klick um zu Tweeten

 

Variation von Harald Ackerschott
Credit: Boris Schafgans, Bonn