Ausschnitt aus Frauentag_1914_Heraus_mit_dem_Frauenwahlrecht Kopie

Der Business Case für Fairness

Den Business Case für Fairness in der Besetzung von Führungspositionen betrachte ich heute, am Weltfrauentag in einem Vergleich, in dem „faire Personalentscheidungen“ der Diskrimierung von Frauen gegenübergestellt werden. Diskriminierung wird dabei zum Indikator für Minderleistung einer Organisation.

Wir schauen auf die Falle, in die eine Organisation fällt, wenn sie Frauen bei der Besetzung von Positionen um so mehr diskriminiert, je höher die zu besetzende Position hierarchisch angesiedelt ist.

Um Frauen geht es dabei erst einmal wegen des Weltfrauentages. Aber auch deshalb, weil Frauen in Deutschland ungefähr die Hälfte der Population in den Alterskohorten darstellen, die für den Arbeitsmarkt relevant sind. Drittens sind Diskriminierungen von Frauen auch am direktesten beobachtbar.

Der Anteil von Frauen an den Erwerbstätigen beträgt mit 46,6% in 2019 fast die Hälfte.

Grafik: Frauenanteil an Beschäftigung und Führung

Bei Führungskräften insgesamt liegt der Anteil immer noch mit 29,4 % bei fast einem Drittel aber schon deutlich unter ihrem Gesamtanteil.

Ja, es gibt mehr Teilzeit bei Frauen als bei Männern, aber das ist ein anderes Thema.

Magere Repräsentation von Frauen im DAX

In den Vorständen von DAX30, MDAX und SDAX lagen die Frauenanteile 2020 bei 15,7 %, 9,2 % und mageren 6,1 %

Auch die Daten der Albright Stiftung weisen ähnliche Muster für verschiedene Organisationen und Organisationsklassen nach.  

In dieser Betrachtung geht es darum, dass geistige und mentale Leistungsfähigkeit, die im Beruf eingesetzt wird, bei Frauen und bei Männern nach unserer Datenlage gleich verteilt ist.

Die unterschiedlichen, für das Ausfüllen von Führungspositionen relevanten kognitiven Dimensionen, sind bei Frauen und Männern normalverteilt. Auch weitere Potenzial-Indikatoren für Arbeitsleistung wie Gewissenhaftigkeit, Flexibilität oder Zielstrebigkeit sind bei Frauen wie bei Männern verteilt wie in der Glockenkurve. Es gibt vergleichsweise wenige, die ganz und extrem wenig Potenzial zeigen, viele in der Mitte und wieder relativ wenige mit hoher und extrem hoher Ausprägung in einem Merkmal.  Die relevantesten Kennziffern zum Herausfinden von Unterschieden in Gruppen sind die Streuung und der Mittelwert. Sie weisen nicht auf Unterschiede hin.

Männer und Frauen unterscheiden sich statistisch

Aber nicht in den für Führungskräfte wirklich leistungsrelevanten Merkmalen. Der Business Case für Fairness bei der Besetzung von Führungspositionen erinnert an den Anforderungsbezug bei der Eignungsfeststellung. 

Boxhandschuhe: Frauen und Männer unterscheiden sich statistisch in der Körpergröße. Für Führungsaufgaben ist das irrelevant.

Bekannte und nachgewiesene gruppenbezogene Geschlechterunterschiede wie Körpergröße, Gewicht oder Armspannweite und gestemmtes Gewicht beim Bankdrücken sind heutzutage für die allermeisten beruflichen Aufgaben und insbesondere die Leistung in Führungspositionen nicht mehr relevant.

Tabelle Frauen, Gewicht und Leistung Bankdrücken. Quelle: https://exrx.net/Testing/WeightLifting/BenchStandardsKg

Männer und Frauen unterscheiden schien Körpergewicht und Kraft. für Führungsaufgaben ist das unerheblich.

Tabelle: Männer Gewicht und Leistung im Bankdrücken: Quelle: https://exrx.net/Testing/WeightLifting/BenchStandardsKg

Worin es mitunter auch Unterschiede gibt, sind die Jahre Berufserfahrung in der dem angestrebten Aufstieg vorangegangenen Position oder in einer spezifischen Branche oder Funktion.

Wichtig dazu: Diese Unterschiede sind unerheblich für die Prognose der Führungsleistung.  Es gibt es genügend Evidenz, dass fast alle Anforderungen in Stellenanzeigen oder Headhunter-Briefings, die über fünf Jahre hinausgehen, ungerechtfertigt sind. Schmidt, Schaffer und Oh (2016) haben in ihrer großen Metaanalyse gezeigt, dass Erfahrung nach fünf Jahren meist nicht mehr in weiterem Zuwachs an Kompetenz resultiert.

Festzuhalten ist daher:

Wer entweder keine Bewerbungen von Frauen auf Spitzenführungspositionen hat, oder die Bewerbungen von Frauen nicht berücksichtigt, greift nur auf die Hälfte des möglichen Talentreservoirs zu. Ich spreche hier bewusst von „Talent“ oder „Potenzial“, auch wenn es um die Besetzung von Positionen in Vorstand und Geschäftsführung geht.

Denn auch in den Fällen, in denen, wie geschehen, z. B. ein Finanzvorstand der Deutschen Lufthansa zum Vorstandsvorsitzenden der Haniel Gruppe oder der Merck KGaA gekürt wird, ist das eine Entscheidung auf der Basis einer Potenzialeinschätzung. Weder Karl-Ludwig Kley, noch Stephan Gemkow waren Vorstandvorsitzende bei der Lufthansa AG. Aber bei Haniel, bzw. bei Merck, hatte man beiden sowohl die Spitzenposition, als auch den erfolgreichen Branchenwechsel zugetraut.

Und im „Talent“ und „Potenzial“ für große Aufgaben gibt es keine Geschlechterunterschiede. Das heißt, dass in jeder nicht durch vorangehende Diskriminierung künstlich verkleinerten Kandidatenpopulation für eine Position, gleich viele geeignete Frauen und Männer und nicht geeignete Frauen und Männer sein müssten. Da Eignung sich aber nicht dichotom (vollständig nicht geeignet vs. vollständig geeignet) beschreiben lässt, sondern eher auf einem Kontinuum (von „gar nicht“ über „weniger“ und „mehr“ bis „vollständig“ geeignet) verläuft, ist die Annahme gerechtfertigt, dass die Geschlechter in einer Normalverteilung  gleich verteilt sind und eine für eine Einzelentscheidung, bzw. Bestenauswahl notwendige jeweilige Spitzenposition statistisch abwechselnd mal von einer Frau, mal von einem Mann belegt sein müsste.  

Was passiert also bei der Auswahl?

Und worauf weisen Geschlechterunterschiede bei der Besetzung von Spitzenführungspositionen hin? Was ist der der Business Case für Fairness in der Besetzung von Führungspositionen?

Die Wahrscheinlichkeit, dass bei einer Grundrate, die nicht aus Branchengründen geschlechterspezifisch schief verteilt ist, bei Selektion der am besten geeigneten Personen in einem Gremium von 5 Personen keine einzige Frau ist, liegt bei ca. drei Prozent. Das ist in etwa so, als würden Sie bei fünf aufeinander folgenden Münzwürfen fünfmal „Zahl“ werfen.  

Denken Sie jetzt, dass das eine völlig unrealistische Annahme sei, weil es so viele Branchen gibt, in denen man einfach keine geeigneten Frauen findet?

Dann denken Sie bitte noch einmal an die beiden ehemaligen Finanzvorstände der Deutschen Lufthansa, die dann jeweils einmal Vorstandsvorsitzender bei einem Arzneimittel- und Spezialchemieunternehmen sowie bei einem Family Equity Unternehmen wurden.

Was spräche also dagegen, dass die Finanzvorständin, die bei der Deutschen Lufthansa in der Nachfolge von Karl-Ludwig Kley und Stephan Gemkow war, jetzt Vorstandsvorsitzende z. B. bei Eon werden könnte? Weil in der Energieberanche so wenige Frauen in der Talent pipeline sind?

Die Wahrscheinlichkeiten weisen also darauf hin, dass in solch einem fünfköpfigen Vorstand, in dem nur Männer sind, mindestens zweimal der bestenfalls zweitbeste (Mann) den Zuschlag erhalten hat.

Natürlich sind das nur Wahrscheinlichkeiten – und im konkreten Einzelfall kann alles ganz anders sein. Aber eben nur im konkreten Einzelfall und nicht in 30 frauenfreien Vorstandsvorsitzendenpositionen im DAX 30 und in 41 vollständig frauenfreien MDAX-Vorständen und in 54 Vorständen der 70 Unternehmen im SDax, in denen keine einzige Frau sitzt (Status Review „Talentmanagement-Kompetenz“ in Aufsichtsräten, 2020, Harald Ackerschott GmbH).

Die Realität sieht schlechter aus als „Zweitbester“

Betrachtet man aber solch einen fünfköpfigen Vorstand genauer, kommt man nicht darum herum, sich die Auswahlprozesse einmal näher anzusehen.

Potenzial ist nach DIN 33430 „die Fähigkeit einer Person, ihr bislang nicht vertraute Aufgaben zu bewältigen und Kompetenzen zu entwickeln“ https://eignungsdiagnostik.info/eignungsdiagnostik-lexikon. Dieses Potenzial lässt sich am sichersten mit kognitiven Leistungstests erfassen. Diese gehören laut Stulle und Weinert nur in 27 % der Fälle bei Dienstleistern für Top Executive Assessments zum Standardangebot.

Was in allen Fällen gemacht wird, sind Interviews. Schon 1988 beschrieb Mark C. Cook in Personnel Selection and Productivity „Cook’s Law“:  „Je wichtiger eine Auswahlentscheidung ist, desto mehr Stunden müssen damit verbracht werden, sie zu treffen“ („the more important the selection decision, the more hours must be spent arriving at it“) und er ergänzt: „and the more time must be seen to be spent making it.“

Die Auswahl als Inszenierung?

Und das lässt sich am besten mit ganzen Serien von Interviews oder mit ausführlichen Panelsitzungen zur Anhörung von Kandidaten darstellen. Und nach meiner Erfahrung hat sich daran noch nicht wirklich etwas geändert und auch J. B. Miners Erkenntnisse, dass Körpergröße und Gewicht von Kandidaten die Interviewer massgeblich beeinflussen, erscheinen immer noch nicht überholt.

Die Wirtschaftswoche zitiert das DIW und beschreibt Haarfarbe, Körpergröße und Zähne der Erfolgstypen im Management.

Hasselmann et al. schreiben dazu 2016 in „Executive Assessment“ zur Auswahl von Spitzenführungskräften, dass „die Auswahlgremien (z. B. der Aufsichtsrat) die Ausgestaltung des Verfahrens gern persönlich in die Hand nehmen.“ Und dass die Leistung von Headhuntern sich eher in der Kontaktanbahnung erschöpfe, als dass sie Spezialisten mit qualifizierter diagnostischer Expertise seien.

Dabei wird unmittelbar deutlich, dass in den Konstellationen, in denen keine einzige Frau im Ergebnis eine Vorstandposition hält, eben auch gar keine angemessene Potenzialanalyse durchgeführt wurde.

Damit wird aber die eben geäußerte Möglichkeit, dass dreimal der beste und zweimal der zweitbeste Kandidat den Zuschlag erhalten haben, zu einer viel zu optimistischen Einschätzung.

Das Resultat wird in derartigen Fällen eher einer Zufallsauswahl gleichen. Oder einer Auswahl nach anderen Kriterien als streng anforderungs- und leistungsbezogenen. Vielmehr wird für einen solchen reinen fünfköpfigen Männervorstand eher gelten, dass sich die Leistungen der fünf Herren mehr oder weniger gleichmäßig über das mögliche Leistungsspektrum verteilen:

Einer der Vorstandkollegen wird möglicherweise sogar 100 % der erwarteten Leistung erbringen, ein zweiter vielleicht 80%, der Mittlere ungefähr 50 bis 60% , ein vierter eher nur  40% und der fünfte trägt vielleicht gar nicht wirklich etwas  zum Ergebnis bei oder in einem guten Fall ungefähr 20 % der erwarteten Leistung.

Business Case Fairness 

Für den Business Case für Fairness können Sie in einer einfachen Rechnung jetzt die Gesamtvergütung Ihres Vorstandes diesen aufaddierten Leistungsanteilen in Prozent gegenüberstellen. Wenn Sie mehr oder weniger als fünf Mitglieder haben, dann füllen Sie die Lücken entsprechend oder streichen Sie den einen oder anderen heraus. Auf dieser Basis können Sie abschätzen, wieviel Sie ausgeben und für wie viel ihres Aufwandes Sie keine Leistung bekommen.

Wenn Sie konsequent alle Leistungsbänder mitteln und nach Anzahl der Mitglieder im Vorstand auf das komplette Leistungsband zwischen 100 % und 0 % gleichmäßig verteilen, dann erhalten Sie bei einer Population, die aus zwei überschneidungsfreien Subpopulationen (Männer und Frauen) besteht und in der gegen eine Subpopulation vollständig diskriminiert wird, eine Leistung von 50 % für einen Aufwand von 100 %. Wenn Sie leistungsgebundene Anteile haben und die individuellen Leistungsbeiträge wirklich messen, dann können Sie Ihre Rechnung danach korrigieren.

Für ausdifferenziertere und ertrags-/verlustorientierte Kalkulationen des Business Case für Fairness müssten wir Unternehmensdaten einsetzen, die die Hebelwirkung der Führungskräfte im Vorstand für das ganze Unternehmen sichtbar machen.

Unterhalb des Vorstandes können Sie mit der Daumenregel arbeiten, dass Sie mit jeder Überrepräsentation von Männern auf einer Ebene Leistungsfähigkeit verlieren. Je höher der reine Männeranteil, desto mehr. 100% Männeranteil ergibt danach 50 % Leistungsverlust für ihre Organisation:

Der Business Case für Fairness bei der Besetzung von Führungspositionen zeigt, dass sich Anforderungsbezogene faire, transparent, objektive und valide Eignungsdiagnostik lohnt. 

Quellen:

Mark C. Cook, Personnel Selection and Productivity, John Wiley & Sons, 1988

Executive Assessment, Instrumente, Trends, Herausforderungen,  Weinert, Stephan, Stulle, Klaus P (Hrsg.), Springer, 2015

Hasselmann et al., Standards für Eignungs- und Potenzialdiagnostik im Top-Management, S. 135 – 149 in: Executive Assessment, Instrumente, Trends, Herausforderungen,  Weinert, Stephan, Stulle, Klaus P (Hrsg.), Springer, 2015

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