Harald Ackerschott: Meine Perspektive

Von den Anforderungen zu Verfahren und Instrumenten

Von der Anforderungsanalyse zu den richtigen Verfahren und Instrumenten

Im ersten Beitrag zur Anforderungsanalyse haben wir erarbeitet, wie man die Anforderungen an eine Position systematisch erfasst und in einem klaren Anforderungsprofil zusammenführt. Nun folgt hier der Überblick über den nächsten Schritt: Die Auswahl der passenden Verfahren und Instrumente, um die im Anforderungsprofil definierten Fähigkeiten, Kompetenzen und Persönlichkeitsmerkmale valide und zuverlässig zu erfassen.

Das Ziel dieses Beitrags ist es, eine praktische Anleitung zu geben, wie Sie von den ermittelten Anforderungen zur Auswahl geeigneter Verfahren und Instrumente gelangen – und so die Eignung von Kandidat:innen gezielt und fundiert beurteilen können.

Wir arbeiten dabei entlang der fünf Verfahrensklassen der DIN 33430:

  1. Dokumentenanalyse
  2. Direkte mündliche Befragung
  3. Situative Übungen
  4. Messtheoretisch fundierte Fragebögen
  5. Messtheoretisch fundierte Tests

Die Frage, die wir klären wollen, lautet: Welche Verfahren sind geeignet, um die definierten Anforderungen zuverlässig zu messen – und wie kombiniert man sie sinnvoll, um die beste Vorhersagekraft zu erreichen?

Das Anforderungsprofil als Ausgangspunkt für die Verfahrenswahl

Die Anforderungsanalyse hat die grundlegenden Anforderungen an die Position bereits mit Verhaltensbeispielen beschrieben. Die Herausforderung besteht nun darin, diese Anforderungen in konkrete Eignungsmerkmale zu übersetzen und dafür die passenden Instrumente auszuwählen.

Beispiel: Anforderungsprofil einer Vertriebsposition

Ein Vertriebsmitarbeiter benötigt:

Einschlägige Erfahrungen im Verkauf/Vertrieb. Dabei gibt es Unterschiede in Bezug auf die Zielgruppe, B2B oder B2C. Und natürlich in Bezug darauf, was in welchem Kontext verkauft werden soll. Sollen Investitionsgüter vertrieben werden, geht es um (intelligente) Dienstleistungen oder geht es um Verkauf an einer Theke oder in einem Shop?

Je nach Situation Aufgabenstellung und zu besetzen der Rolle variieren natürlich die konkreten Anforderungen an die vor Erfahrungen Vorkenntnisse und an die Kompetenzen, die bereits vorhanden und Ausgebildet sein sollen.

Dazu kommen dann natürlich auch noch persönliche Eigenschaften wie zum Beispiel:

  • Kommunikationsstärke und Überzeugungskraft
  • Strategisches Denkvermögen
  • Eigenmotivation und Belastbarkeit
  • Fähigkeit, Beziehungen zu Kunden aufzubauen und zu pflegen
  • Zielorientierung und Erfolgswille

Die Eigenschaftsbegriffe sind nach DIN 33430 verhaltensnah konkretisiert:

Eine erfolgreiche Kandidatin/ein erfolgreicher Kandidat zeigt Kommunikationsstärke und Überzeugungskraft, indem sie/er komplexe Sachverhalte klar und verständlich vermittelt und dabei auf die Bedürfnisse des Gegenübers eingeht. Fehlende Überzeugungskraft zeigt sich hingegen darin, dass Argumente unsicher vorgetragen werden und Gesprächspartner nicht zum Handeln bewegt werden. Strategisches Denkvermögen wird daran erkennbar, dass eine Kandidatin/ein Kandidat langfristige Chancen und Risiken analysiert und daraus gezielte Maßnahmen ableitet. Ein Mangel daran zeigt sich, wenn kurzfristige Lösungen bevorzugt werden, ohne die langfristigen Folgen zu bedenken. Eigenmotivation und Belastbarkeit spiegeln sich darin wider, dass die Kandidatin/der Kandidat auch unter Druck fokussiert und engagiert bleibt. Fehlende Belastbarkeit zeigt sich hingegen darin, dass Herausforderungen schnell zu Resignation und Motivationsverlust führen. Die Fähigkeit, Beziehungen zu Kunden aufzubauen und zu pflegen, wird daran deutlich, dass die Kandidatin/der Kandidat aktiv auf Kunden zugeht, Vertrauen aufbaut und regelmäßig Kontakt hält. Fehlende Beziehungsfähigkeit zeigt sich dagegen, wenn Kundenkontakte oberflächlich bleiben und selten gepflegt werden. Schließlich zeigt sich Zielorientierung und Erfolgswille darin, dass die kandidatin/der Kandidat klare Ziele definiert, Prioritäten setzt und aktiv auf die Zielerreichung hinarbeitet. Fehlende Zielorientierung wird sichtbar, wenn Ziele unklar bleiben und die Umsetzung nicht selbstständig und aktiv weiter verfolgt wird.

Die Frage ist nun: Wie erfassen wir diese Anforderungen diagnostisch?

Die richtige Zuordnung der Verfahren zu den Anforderungen

Zuerst wollen wir uns aber noch mal einen Überblick verschaffen. Auch Anforderungen lassen sich klassifizieren und sich einer Kategorie zuordnen, für die sich jeweils einige Verfahren besonders anbieten:

Fachwissen und Erfahrung Dokumentenanalyse + Interview

Fachwissen und Erfahrungen, die in der Anforderungsanalyse definiert wurden, lassen sich erst einmal im Überblick durch Dokumente (Lebenslauf, Zeugnisse) abschätzen. Mit gezielten Fragen im Interview werden Sie dann differenziert erfasst.

💡 Beispiel:
Ein Ingenieur für eine Produktionslinie sollte Erfahrung mit bestimmten Maschinen haben.

  • Die Dokumentenanalyse ergibt die erste Kontrolle der formalen Voraussetzungen für eine Bewerbung. Relevante Zertifikate müssen vorhanden sein und berufliche Stationen einschlägig.

Erfahrung kann man allerdings anhand des Lebenslaufs oder anderer Dokumente nicht abschließend prüfen.

Lebensläufe, Zeugnisse oder auch Social-Media-Profile eignen sich für eine Negativauswahl – also um festzustellen, wer die Mindestanforderungen (z. B. Ausbildung, minimale Berufserfahrung) nicht erfüllt. Eine positive Auswahl – also die Entscheidung, wer von zwei Kandidatinnen oder Kandidaten, die beide die Mindestanforderungen erfüllen, besser geeignet ist – ist auf dieser Basis jedoch nicht möglich. Unterschiedlich lange Berufserfahrungen oder auch unterschiedliche Bewertungen in Zeugnissen erlauben, keine valide Differenzierung. Und andere Merkmale, wie Kommunikationsstärke oder Problemlösefähigkeit lassen sich aus der Papierform gar nicht zuverlässig ableiten. Zudem sind Lebensläufe oft beschönigt, schwer vergleichbar und sagen nichts darüber aus, wie jemand unter realen Bedingungen arbeitet. Erst durch geeignete Verfahren wie strukturierte Interviews, Tests oder Arbeitsproben wird sichtbar, wer die Anforderungen wirklich besonders gut erfüllt.

  • Im Interview fragen wir dann genau nach, wie eine Person konkrete Herausforderungen bereits gelöst hat. Oder wie sie unsere Herausforderungen lösen würde.

Kognitive Fähigkeiten und Arbeitsstil  Messtheoretisch fundierte Tests und Fragebögen 

Komplexes Denken, Analysefähigkeiten und Problemlösungskompetenz lassen sich am besten mit standardisierten Tests erfassen.

💡 Beispiel:
Ein Produktmanager muss in der Lage sein, Markt- und Kundendaten zu analysieren und daraus eine Strategie abzuleiten.

  • Intelligenztest: Erfassung von analytischen Fähigkeiten
  • Situational Judgement Tests, Persönlichkeitsfragebögen oder andere Testverfahren: Wie hartnäckig, engagiert und mit wie viel Detailorientierung vertieft sich die Person in ihre Datenanalysen?

Soziale Kompetenzen Tests, Interview + Situative Übungen

Soziale Kompetenz zeigt sich im Verhalten – daher sind strukturierte Interviews und Rollenspiele besonders geeignet, um diese Merkmale zu erfassen. Da Verhalten aber auch immer kontextabhängig ist und Bewerberinnen und Bewerber unterschiedliche Erfahrungen und Souveränität im Umgang mit der besonderen Situation Bewerbungsgespräch haben, macht es Sinn Eindrücke aus den Interviews auch abzugleichen mit Ergebnissen von messtheoretisch fundierten Verfahren. So kann man anhand einer zweiten, unabhängigen Datenquelle noch besser abschätzen, ob das im Gespräch gezeigte Verhalten tatsächlich stabil ist oder eher zufällig aus der Situation entstanden war. 

💡 Beispiel:
Ein Kundenbetreuer muss empathisch auf Kundenbedürfnisse eingehen und Konflikte lösen können.

  • Situatives Rollenspiel: Kunde beschwert sich – wie reagiert der Kandidat?
  • Interview: „Erzählen Sie von einer Situation, in der Sie einen schwierigen Kunden erfolgreich betreut haben.“
  • Messtheoretisch fundiertes Verfahren zeigt Ergebnisse, die das Verhalten bestätigen. Das macht die Zukunftsprognose noch sicherer. 

Arbeitsweise und Motivation Situational Judgement Tests, Motivationstest oder Interessenfragebogen, Persönlichkeitsfragebögen und Interview

Arbeitsstil und Motivation sind persönliche Merkmale, die sich durch strukturierte Fragebögen, Tests und Interviews erfassen lassen.

💡 Beispiel:
Für eine Position im Projektmanagement sind Selbstorganisation und Zielorientierung wichtig.

  • Fragebogen: Erfassung von Arbeitsstil und Motivation
  • Interview: „Wie strukturieren Sie Ihre Arbeit, wenn mehrere Projekte gleichzeitig laufen?“

Führungskompetenz Interview + Situative Übungen

Führungskompetenz ist ein komplexes Zusammenspiel aus sozialer Kompetenz, strategischem Denken und Problemlösungsfähigkeit. Bei besonders anspruchsvollen Führungsaufgaben macht es zusätzlich auch noch Sinn zusätzliche weitere Verhaltensrisiken zu erfassen.

💡 Beispiel:
Ein Teamleiter muss unter Druck Entscheidungen treffen und sein Team motivieren.

  • Situative Übung: Fiktives Teamproblem lösen
  • Interview: „Wie gehen Sie mit Konflikten innerhalb Ihres Teams um?“
  • Test: Problemlösungsfähigkeit, Intelligenz 

 Bei der Besetzung einer Geschäftsführungsposition in einer Turner raunt Phase in einem Familien geführten mittelständischen Unternehmen, dass zum ersten Mal einen familienfremden Geschäftsführer besetzen möchte, würde man auch einen Situational Judgement Test zur Erfassung von besonderen Risiken im Umgang mit der verliehenen Macht durchführen. Extrem Werte in Ego, Distanz und Einfluss wären hier zusätzliche Warnsignale. 

Das Beispiel: Vertriebsposition

So könnte die Zuordnung der Verfahren bei dem oben beispielhaft genannten Anforderungsprofil zu einer Vertriebsposition aussehen: 

  • auf die Kommunikationsstärke könnte man direkt im Interview schauen oder, wenn sich der Aufwand lohnt, kann man dazu auch ein Rollenspiel entwickeln. Das Rollenspiel müsste so konstruiert sein, dass die Kandidatinnen und Kandidaten die Verhaltensweisen, mit denen man das  Merkmal im Anforderungsprofil beschrieben hat, in den Interaktionen mit den Rollenspielerinnen und Rollenspielern zeigen können. Im besten Fall stellt man eine Situation nach, die auch im tatsächlichen Arbeitsalltag vorkommt, so dass man das bei der Arbeit gewünschte Verhalten direkt beobachten kann.

    Da derartige Rollenspiele sehr aufwändig sind, insbesondere da man für alle Kandidatinnen und Kandidaten die Situation gleich gestalten muss, ist im Einzelfall zu prüfen, ob ein solcher Aufwand gerechtfertigt ist. Alternativ wäre ein entsprechendes psychologisches Messverfahren in Kombination mit einem verhaltensorientierten Interview eine ökonomischere Herangehensweise.

  • Strategisches Denkvermögen lässt sich am direktesten mit einem Intelligenztest messen. Wenn man das vermeiden möchte, wäre ein entsprechender Business Case eine, allerdings sehr aufwändige, Alternative.

  • Wer genau gelesen hat, sieht, dass wir oben bei den Verhaltensbeispielen eigentlich nicht wirklich Eigenmotivation beschrieben haben, sondern eher Belastbarkeit. Spätestens jetzt, wenn man nach dem geeigneten Verfahren schaut, fallen dann auch solche Auslassungen auf.

    Wie geht ihr in so einem Fall vor?
    Das würde mich sehr interessieren, wenn ihr da in den Kommentaren mit diskutiert.
    Je nach konkreter Anforderung ung wären dann verschiedene Methoden oder auch Instrumente-Kombination sinnvolle Herangehensweisen: Ein Motivationsinventar, oder ein entsprechender Situational Judgement Test oder auch geschickte biografische Fragen im Interview kämen sicher in Frage.

  • Die Fähigkeit zum Beziehungsaufbau ist sicher eine besonders komplexe Dimension.  Auch hier sehen wir, dass die Übersetzung in Verhaltensanker oben noch nicht vollständig gelungen ist. Im Anforderungsprofil steht insbesondere, dass es einer Person gelingen soll, Vertrauen bei ihrem Kunden aufzubauen. Dabei ist natürlich “Vertrauen” eher ein innerer Zustand des Kunden und kein direkt beobachtbares Verhalten der Kandidatin oder des Kandidaten. Deshalb müssen wir noch mal nachbessern und uns wirklich überlegen, welches konkrete Verhalten wir hier von unseren zukünftigen Mitarbeitenden erwarten. Ich könnte mir vorstellen, dass wir uns eine aktive Beziehungsgestaltung wünschen, über die man sehr gut in einem geographischen oder auch in einem situativen Interview sprechen kann. Wenn man sich dann nicht sicher ist, ob das dargestellte Verhalten im Interview tatsächlich stabil ist, könnte man das mit einem psychologischen Messverfahren validieren.
    Da diese Anforderung sicher nicht eindimensional ist, würde es Sinn machen, Dimensionen wie Sensitivität, Zielorientierung, Durchsetzung oder Hartnäckigkeit zu erfassen. Sicher spielt auch die Fähigkeit, die Kundenbedürfnisse und die Kundensituationen mit zu denken. Also wirklich mitzudenken, was wiederum eine Intelligenzfunktion ist. Bei keinem der jetzt genannten messbare Merkmale wäre ein extrem hoher Wert erstrebenswert. Zum Beispiel wäre eine mittlerer Hartnäckigkeit gut, damit auch der Raum für die Kunden noch offen und selbstbestimmt ist. Auch auf Sensitivität müsste natürlich vorhanden sein, aber nicht in einem extremen Maße, dass man nur noch die Interessen des Kunden im Kopf hat und die Bedürfnisse der eigenen Firma vernachlässigt. Ihr seht, es ist wichtig, dass man erst mal die richtigen Verhaltensanker beschreibt und dann auch genau hinschaut und überlegt, was das richtige Herangehensweise dafür sein kann.

  • Zielorientierung kann man messen, dafür gibt es Tests. Aber auch dem Interview oder einer gut konstruierten situativen Übung ist diese Dimension sicher zugänglich. 

Kombination der Verfahren für maximale Aussagekraft

Einzelne Verfahren liefern nur einen Teil des Gesamtbildes – die beste Prognosekraft erreicht man durch die Kombination mehrerer Verfahren.

Beispiel für eine kombinierte Auswahlstrategie:

👉 Zielposition: Vertriebsleiter
👉 Anforderungen: Kommunikationsfähigkeit, Verhandlungsstärke, strategisches Denken

Anforderung

Verfahren

Begründung/Entscheidung

Formale Must-Haves

CV

Vorauswahl nur nach den formalen Voraussetzungen für die Aufgabe: Longlist

Strategisches Denken

Intelligenztest

Test zeigt analytische Fähigkeiten: Shortlist nach Komplexitätsanforderungen der Aufgabe

Kommunikationsfähigkeit

Interview + Rollenspiel

Interview zeigt Stil und Wortwahl; Rollenspiel zeigt Verhalten unter Druck

Verhandlungsstärke

Situative Übung + Interview

Rollenspiel für Verhalten, Interview für Strategie

Strategisches Denken

Business Case

Business Case zur Plausibilitätsprüfung des Testergebnisses und zum Transfer auf die Praxis

💡 Erfolgsfaktor: Die Kombination aus Tests, Interviews und Übungen liefert ein vollständiges Bild der Eignung – und erhöht die Vorhersagekraft für berufliche Leistung.

Praktische Tipps für die Auswahl der Verfahren

Klarer Bezug zu den Anforderungen: Wählen Sie Verfahren gezielt für die Anforderungsmerkmale aus.
Kombination verschiedener Verfahren: Mindestens zwei unterschiedliche Verfahren pro Merkmal verbessern die Prognosekraft erheblich.
Strukturierte Durchführung: Interviews und situative Übungen sollten klar strukturiert und objektiv bewertet werden.
Vorbereitung auf das Interview: Kandidaten vorher über den Ablauf informieren – aber keine inhaltlichen Hinweise geben.
Bewertung nach DIN 33430: Achten Sie auf standardisierte Bewertungskriterien.

Fazit

Die Anforderungsanalyse legt die Grundlage – die Auswahl der richtigen Verfahren und Instrumente entscheidet darüber, ob die Eignung eines Kandidaten tatsächlich valide erfasst wird. Wer die fünf Verfahrensklassen der DIN 33430 gezielt einsetzt und kombiniert, trifft bessere Personalentscheidungen und verbessert die Qualität der Personalauswahl nachhaltig.

👉 Link zum Artikel zur Anforderungsanalyse: Hier klicken

Bisher gibt es bereits folgende Beiträge zu einzelnen Aspekten der Verfahrensauswahl:

Die sieben Prinzipien der Eignungsdiagnostik 

Eine empfohlene Kombination von Instrumenten 

Welche Auswahlmethoden funktionieren? Ein Überblick.

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