Seltsam – bei Vorgesprächen, einschließlich Anforderungsanalyse wird die Komplexität der zu besetzenden Management-Position fast immer mehrfach betont. Später dann aber, wenn es um die konkrete Methodenkombination im Management-Audit geht, stoßen eignungsdiagnostische Tests v.a. kognitiver Art oft „auf wenig Gegenliebe“.
„Mit einem so hochdotierten Bewerber können wir doch keinen Intelligenztest machen. Wir sind froh, dass er Interesse an uns hat.“
„Dass hier jeder im Management hochintelligent ist, können wir wohl voraussetzen. Sonst wäre er ja nicht in dieser Position.“
„Bei so einem CV ist ein Test schlichtweg eine Beleidigung. Das geht nun wirklich nicht. Ein Gespräch muss reichen.“
Mal davon abgesehen, dass der oft genutzte Begriff „Intelligenztest“ schlicht-weg nicht richtig ist. Denn es geht nicht um die sog. allgemeine Intelligenz eines Kandidaten an sich. Sondern um ausgewählte kognitive Fähigkeiten, die in engem Zusammenhang z.B. mit dem Treffen hochkomplexer Entscheidun-gen (oft unter Zeitdruck) stehen. Die aktuellen Geschehnisse rund um Corona bieten genügend Beispiele.
Aber weshalb ist das so? Weshalb scheut man sich offensichtlich davor, wirklich relevante Leistungsvoraussetzungen ernsthaft zu prüfen? Der Zusammenhang zwischen Denkleistungen und Berufserfolg in bestimmten Positionen ist oft genug belegt. Es gibt unzählige Studien dazu. Auch die völlig unzureichende Validität freier Gespräche ist bekannt.
Jetzt könnte man als Eignungsdiagnostiker natürlich sagen, „Hauptsache, der Umsatz stimmt. Der Kunde ist König. Und wenn er ein Pendel möchte… auch das haben wir…“
Oder man geht tiefer. Für jedes Verhalten gibt es Beweggründe. Lernt man schon frühzeitig im Psychologiestudium.
Mindestens zwei große Erklärungsansätze gibt es wohl:
- Der unmittelbare Zusammenhang von kognitiven Fähigkeiten und Spitzenleistungen auf Management-Ebene ist doch noch nicht so bekannt, wie angenommen.
Das würde bedeuten: wir müssen „raus“. Noch mehr informieren.
Noch mehr aufklären. Deutlich machen, was wir und unsere Produkte können. Nicht belehrend – sondern kurz, knackig, verständlich.
Ganz klar nutzenorientiert. - Der Nutzen von Tests ist bekannt, es gibt aber Befürchtungen, ein Test, „der nur mittelmäßig oder gar unterdurchschnittlich ausfällt“ würde den Teilnehmer oder das Unternehmen oder beide beschädigen. Dann führt man ihn lieber gar nicht erst durch. Denn sonst würde zu Tage treten, dass Entscheidungen in der Vergangenheit teilweise nur „halbherzig oder politisch oder aus der Not heraus oder oder oder“ getroffen wurden. Eine Korrektur ohne Gesichtsverlust wäre schwierig.
Und was sagt uns das jetzt?
Was könnte man einem jungen, ambitionierten Nachwuchs-Eignungs-diagnostiker empfehlen, der verzweifelt fragt – und was soll ich jetzt tun? Auf die Schnelle mindestens 3 Dinge:
- Sich die echte Akzeptanz des Managements im eigenen Unternehmen oder beim Auftraggeber erarbeiten. Das gelingt nur, wenn man das Unternehmen mit seinen erfolgskritischen Themen wirklich kennt, es versteht und deutlich zeigt, das man auch als Psychologe (😉) über Knowhow verfügt , dass unmittelbar auf unternehmerischen Erfolg einzahlt.
- Den Mut haben, notfalls klare Nichtempfehlungen auszusprechen oder einen diagnostischen Auftrag abzulehnen, wenn man genau weiß, dass für ein valide Einschätzung das gewünschte methodische Vorgehen keinesfalls ausreicht.
- Möglichst schon frühzeitig im Karriereprozess die Leistungsvoraus-setzungen von ambitionierten Nachwuchskräften unter die Lupe nehmen. Dann systematisch auf dem passenden Pfad begleiten.
Harte Korrekturen im Nachhinein können fast immer vermieden werden. Zum Vorteil der betroffenen Person und zum Vorteil des Unternehmens.
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